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Privat

WAS IST DENN BITTE SCHÖN PRIVAT?

<Privat> so lautet der Titel eine aktuellen Ausstellungen in der Schirn in Frankfurt, die noch bis 2. Februar 2013 zu sehen ist. Doch was bedeutet heute überhaupt noch <Privat> im Zeitalter von Blogs, Foren und Internet-Netzwerken? Sind wir nicht schon viel zu übersättigt, um private Belange in einer Themenausstellung zu besichtigen? Vorab war ich  skeptisch, jedoch neugierig (sonst wäre ich nicht hineingegangen) und danach sichtlich überrascht.

Eine Zeitreise durch die letzen Jahrzehnte zeigt eine rasante Entwicklung. Was heute als normal und alltäglich erscheint, war vor 50 Jahren noch schokierend, politisch oder revolutionär. So werden Ende der 60er Jahre Körperpolitik, Genderfragen, alternative Lebensentwürfe oder neue Formen des Zusammenlebens zum zentralen Thema.

EINE VIELZAHL KÜNSTLERISCHER ANSÄTZE MIT DER THEMATIK PRIVATSPHÄRE

Der Künstler Stan Brakhage zeigt erstmals in der Filmgeschichte die Geburt seines eigenen Kindes. Andy Warhol in einer fünf Stunden Sequenz seinen schlafenden Liebhaber, Michel Auder seinen Alltag als Bohémien in New York. Die Grenze zwischen öffentlichem em Leben und privatem Selbst wurde in der Avantgarde und der Gegenkultur massiv aufgeweicht.

Der Ideologie der Häuslichkeit der 50er  Jahre werden die Bilder des eigenen Lebenstils entgegengehalten. Frauen wie Martha Rosler oder Birgit Jürgensen formulieren Antithesen zur traditionellen privaten Rolle in der bürgerlichen Familie. Sophie Calle erzählt von fingierten Hochzeiten und dem Streit mit dem Geliebten. Tracey Emin präseniert ihr eigenes zerwühltes Bett.

Schwule Künstler, wie Mark Morrinsoe (der Anfang letzten Jahres in der Villa Stuck in München zu sehen war) zeigen visuelle Erzählungen eines Lebens jenseits des Mainstreams. Nan Goldin entwirft mit ihren Fotografien eine beispiellose Asthetik der Intimität, die viele Anhänger gefunden hat. Notation, Dokumentation, Authentizität und scheinbar amateurhaft aufgezeichnete Privatheit sehen wir heute in Arbeiten von Ryan McGinley oder den Polaroids des früh verstorbenen Dath Snow.

Sie präsenieren einen exzessiven Hedonismus in lebensnahen Momenten. Ebenso werden Geschichten von Familien erzählt, die jenseits einer Idylle stattfinden. Intime Innenansichten. Richard Billingham zeigt Aufnahmen seines alkoholkranken Vaters Marylin Minter, Bilder ihrer tablettensüchtigen Mutter. Leigh Ledare, eine Bildserie von seiner Mutter, während sie mit jüngeren Männern schläft. Ob Wahrheit oder Fiktion bleibt ein offen. Sie alle setzen sich in ihren Arbeiten mit der eigenen dysfunktionalen Familie auseinander. Häufig sind es Zeugnisse eines Bewältigungs- und Distanzierungsprozesses mit der Kamera.

WILLKOMMEN IM ZEITALTER DER POST-PRIVACY?

Und heutzutage? Der chinesische Künstler Ai Weiwei ist mit einer Arbeit von 5.000 Blog und Twitter Fotos vertreten, die in einer Diashow auf zwölf Monitoren zu sehen sind. Künstler wie Mark Wallinger, Leo Gabin, Evan Baden, Baden, Peter Piller, Michael Wolf, Edgar Leciejewski und Mike Bouchet forsten das World-Wide-Web durch und werden fündig.

Peter Piller sammelt in online Datingplattformen Fotos von Frauen, die an Bäumen posierend  in  Kameras lächeln, das Künstlerkollektiv Gabin findet in Filmplattformen tanzende Mädchen, die sich in ihren Zimmern laziv präsenieren – alle scheinen einer gleichen Dramaturgie zu folgen. Willkommen im Zeitalter der Post-Privacy, der totalen Tranzparenz? Jedenfalls offeriert die Schau eine Aussage über den Zustand der Gesellschaft.

3 Kommentare zu “Privat

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