Auf dem Walk of Modern Art in Salzburg Teil I
Am 14. Juli 2021 verstarb der französische Konzeptkünstler Christian Boltanski im Alter von 76 Jahren. Seine Installationen waren stets fragil und voller Fragen über die Vergänglichkeit unseres menschlichen Daseins. Was füllt unsere menschliche Lebenszeit? Was erfüllt sie? Gibt es überhaupt Erfüllung oder füllt sich die Zeit lediglich durch bloßes vergehen? Gibt es eine Zwischenzeit? Was bleibt von uns? Was geht, wenn wir gehen? Welche Erinnerungen konserviert die Zeit? Und wie verändert sich die Erinnerung in der Zeit? Hat jeder seine/r eigene Taktung im empfinden der Zeit oder tickt die Zeit konform? Eine Erinnerung -aus dem Jahre 2012 – an eines meiner liebesten Werke “Vanitas” im Salzburger Dom, die ich sooft ich kann, wenn ich dort bin, besuche:
In der dunklen Chorkrypta des spätromanischen Salzburger Doms schuf der französische Künstler Christian Boltanski unter dem Titel „Vanitas” (lat. „leerer Schein, Nichtigkeit, Eitelkeit“; auch Prahlerei, Misserfolg oder Vergeblichkeit) ein ganz besonderes Werk für diese unterirdisch schönen Raum. Es ist ein Schattenspiel, dass sich je nach Besuchermenge, mal mehr, mal wieder ändert. Je nachdem wieviel “Wind” die Besuchende hier unten verströmen. Es ist ein präzises Werk, dass sich empfindsam auf diesen Ort einlässt. Boltanski schufft hier ein mystisches Werk inmitten all der Vergänglichkeit. Die Chorkrypta war einst geweihter Kirchenraum, der auch als Grablege diente. Es ist ein bedeutsam, geschichtsträchtiger Raum, der durch Boltanski (zeitgenössische) Kunst ins hier und jetzt neu verortet wird.
Christian Boltanskis Installation „Vanitas“ besteht aus zwei Teilen, einem visuellen und einem akustischen.
Rechter Hand an der Wand im Kryptaraum flackern zwölf skizzenhafte, Schattenfiguren. Zwölf filigrane Figuren aus Metallblech, die an einer Art Wunderkerzenstäben befestigt sind, stecken wie Räucherstäbchen an einem von Kerzen beleutechten Winkel an der Wand. Im flackernden Licht tanzen die mysteriösen Figuren hin und her.
Während desssen dreht hinten in der Apsis ein schattenhafter Engel langsam und unermütlich seine Kreise. Dazu ertönt im Raum die beständige Wiederholung einer automatischen Zeitansage: “Es ist 15:09 und 10 Sekunden, es ist 15: 10…”. Das Schattenspiel Christian Boltanski’s erinnert an einen ein moderner „Totentanz“; während hörbar und unwiederkehrbar die Zeit verrinnt.
„Ich möchte, dass man hier die Zeit hören und spüren kann“
sagte der Künstler selbst über sein Werk. „Die Menschen können viel tun, aber sie können nicht gegen die Zeit kämpfen. Gott ist der Herr der Zeit.“
Die Chorkrypta des von Konrad III. (1181-1200) erbauten Doms wurde nach dem Brand von 1598 und dem folgenden Abbruch des spätromanischen Doms zugeschüttet. Bei den Domgrabungen (1956-1958) wurde sie erstmalig freigelegt, aber erst anlässlich des Kunstprojekts Salzburg mit Christian Boltanski zu einem öffentlichen Raum gemacht, der nun allen Besuchern offensteht.
Über den Künstler:
Christian Boltanski (1944-2021) lebte und arbeitete in Malakoff bei Paris. Dreimal war er auf der documenta in Kassel vertreten und hat 2006 den renommierten Praemium Imperiale für Skulptur erhalten. Boltanski setzte sich in seinen Installationen mit Tod und Erinnerung, Zufall und Bestimmung, Geschichte und Endlichkeit des menschlichen Lebens auseinander. Sein Thema ist die Spurensicherung, er rekonstruiert, inszeniert und dokumentiert zumeist mit einfachsten Materialien fiktive und reale Schicksale.
Pingback: Auf den Spuren des Walk of Modern Art in Salzburg | unterwegsinsachenkunst