“Bücher sollten schmal sein. Keine Lügen. Nichts Belangloses.”
Mit den Worten des russischen Dichters Alexej Krutschoych’s empfängt die Ausstellung “Showcase“ in der Bayerische Staatsbibliothek im ersten Raum ihre Besucher.
Es ist eine äußerst eindrucksvolle, leise Schau von Kasimir Malewitsch über Andy Warhol bis hin zu Marina Abramović . Die Rede ist von Künstlerbüchern. Stattliche 72 an der Zahl – in 3 Räumen. Eine ganze Bandbreite. Angefangen von kleinformatigen Exponaten bis hin großformatig, aufwändig hergestellten Werken über Plakate, Leporellos, Mappenwerke und sogar Schallplatten .
Künstlerbücher sind ganz eigenständige Kunstwerke und vor allem; sie sind selten.
Das Buch, als eigenes künstlerisches Ausdrucksmittel. Die ursprüngliche Funktion eines Buches in Form von reiner Informationsvermittlung wird losgelöst, manchmal gar aufgelöst. Das können wertvolle Unikate mit Originalgraphiken, Multiples oder schlichtweg unlimitierte Auflagen auf in Form von Fotokopien sein. Meist dümpeln Künstlerbücher, sofern sie überhaupt ausgestellt werden, am Rande eines künstlerischen Œuvres.
In der Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek bekommen sie ihren großen Auftritt, werden präsentiert hinter Glas. In Vitrinen. Auf englisch: Showcases.
Teils schweben sie auf beeindruckenden Plexiglassockeln, aufgeschlagen, leicht gekippt. So, wie man ein Buch eben halten würde. Es lohnt sich auf jeden Fall ein Blick auf den Einband dahinter. Alle samt, sachte beleuchtet, denn mehr als 50 Lux vertragen die sensiblen Werke nicht. Wozu auch, die Strahlkraft eines jeden Einzelnen reicht aus – um hell genug zu leuchten.
Manchmal nimmt Kunst Dinge vorweg, die zum Zeitpunkt der Entstehung nicht vorhersehbar waren;
das überrascht mich immer wieder. Ganz begeistert stand ich vor einer bereits 1966 entstandenen, sieben Meter langen Leporello Arbeit von Ed Ruscha. Es zeigt spiegelbildlich gegenübergestellte, frontale Panorama-Ansichten des bekannten Sunset Strip in Los Angeles, der zwischen den Stadtteilen Hollywood und Beverly Hills liegt. Die eine Seite der Straße läuft im oberen, die andere Seite um unteren Teil. Dazwischen sind die Hausnummern und die Namen der Querstraßen eingetragen. Ruscha montierte eine Kamera mit Motor auf der Ladefläche eines Pick-up-Trucks und fotografierte während der Fahrt die einzelnen Gebäude. Heutzutage übernehmen diverse Kartendienste, wie Google Street View, ganz selbstverständlich derartige Dokumentationen.
Sehr nachdenklich hat mich die Arbeit Abcence der US-amerikanischen Architektin und Designerin J. Meejin Yoon gemacht.
Es ist ein Memorial zum Gedenken an den 11. September 2001 in Form eines 122 seitigen, weißen Buches.
Weiß als Farbe der Abwesenheit und Trauer im asiatischen Kulturraum. Die Umrisse der Zwilligstürme des ehemaligen 110 stöckigen World Trade Centers sind ausgestanzt. Es ist eine Art Negativmodell im Buch – angefangen mit einem kreisrunden Loch für die Antenne des Nordturms und endend mit der verzweigten Gitterstruktur des Ground Zero. Jede Seite eine Erinnerung an ein nicht mehr vorhandenes Stockwerk. Eine Erinnerung an all die Opfer des Terroranschlags. Was mag das wohl für ein Gefühl auslösen; jede Seite einzeln haptisch durchzublättern?
Wer die Muße hat, ca. 5 Minuten auszuharren, wird belohnt mit einer ganz besonderen, sehr komplexen Präsentation:
ein eigens für die Ausstellung geschaffenes Kunstwerk von Emil Siemeister; die sieben Bußpsalmen, 2016-2017. Die Arbeit basiert auf einer Auftragsarbeit des Herzogs Albrecht V. von Bayern, die zwischen 1565-1570 entstanden ist. Die von Hans Mielich erschaffenen großformatigen Chorbücher Die Sieben Bußpsalmen mit Vertonung von Orlando die Lasso gilt wohl als “die kostbarste und aufwändigste Musikhandschrift, die jemals geschaffen wurde”.
Der Künstler Emil Siemester interpretiert die Arbeit völlig neu. Er entnimmt Zeichnungen des Buches, versetzt auf zusätzlichen Kunststofffolien die einzelnen Vorder- und Rückseiten mit einer Nachleuchtfarbe und hängt sie nebeneinander in einen völlig abgedunkelten Raum. Somit entsteht ganz nebenbei die normale Überlagerung von Seiten, die ein Buch bereithalten kann. Er schafft somit eine komplexe Dreidimensionalität – einmal durch den Raum selbst und durch die Präsentation der Buchseiten.
In der Renaissance war der aufkommende Illusionismus, also die Erschaffung einer dreidimensionalen Perspektive auf einer zweidimensionalen Fläche erstrebenswert. Barocke Deckenmalerei ist ein guten Beispiel dafür. Hans Mielich erschuf sein Auftragswerk nämlich genau in dieser Zeitepoche.
Anfänglich wirkt alles sehr schemenhaft und unspektakulär. Wer sich traut, einige Zeit in dem kleinen Raum auszuharren, wird belohnt mit einem kurzen, leuchteten Einblick und fluoreszierenden Farbschichten.
Ganz nebenbei kann man im Moment des Wartens, einiges über sich selbst erspüren. Na, gespannt?
Die Ausstellung Showcase ist ein Kleinod unter all den Ausstellungen, die es aktuell in der Münchner Museumslandschaft zu sehen gibt.
Ein auf den ersten Blick leises, dass ihr wahres Ausmaß erst entfaltet, wenn man sich tief, tief hinein begibt. Ein äußerst sehenswertes, fern ab aller Blockbuster-Schauen.
Der Eintritt ist frei. Der dazugehörige Audioguide ebenso. Zusätzlich finden kostenlose öffentliche Führungen Donnerstags um 16.30 Uhr und Sonntags um 14 Uhr statt. Zur Ausstellung ist ein ausführlich bebilderter Katalog erschienen.
SHOWCASE – Künstlerbücher aus der Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek vom 20. September 2017 bis 7. Januar 2018
Bayerische Staatsbibliothek
Ludwigstr. 16
80539 München
Öffnungszeiten:
Montag – Freitag von 10 -18 Uhr
Sonntag von 13 – 17 Uhr
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